Gae Aulenti ist eine der einflussreichsten Architekten und Designer der Nachkriegszeit. Bereits in den 1960er Jahren entstanden ihre ikonischen Kreationen – wie die „Locus Solus“-Serie (1964), der „Pipistrello“ (1965)
und „King Sun“ (1967) – trugen maßgeblich zur weltweiten Dominanz Italiens im Bereich des Produktdesigns bei. Internationale Bekanntheit erlangte die italienische Designerin durch die Umgestaltung eines Pariser Bahnhofs in das Musée d’Orsay (1980-1986). Doch obwohl Aulenti über 700 Projekte realisierte, ist sie außerhalb ihres Heimatlandes Italien relativ unbekannt. Dieser unverdienten Vernachlässigung will das Vitra Design Museum mit „Gae Aulenti: A Creative Universe“. Die Ausstellung beleuchtet Aulentis vielseitiges Werk, das neben Architekturprojekten und Designobjekten auch Interieurs, Bühnen- und Kostümbilder sowie Ausstellungen umfasst. Im Vitra Schaudepot werden rund 35 Objekte aus ihrem Schaffen präsentiert, ergänzt durch Fotografien, Skizzen und Zeichnungen sowie eine Diashow, Dokumentarfilme und Interviews.
Eröffnet wird die Ausstellung mit Aulentis frühen Entwürfen für die Firma Poltronova. Dazu gehören ihr erstes Möbel „Sgarsul“ (1962), das sich durch eine sehr eigenständige und moderne Formensprache auszeichnet, sowie ihre Gartenmöbelserie „Locus Solus“ (1964). Das Sofa „Stringa“ (1963) und viele andere Entwürfe Aulentis nutzte sie auch für die Einrichtung ihres eigenen Hauses. Außerdem entwickelte sie Produkte für Zanotta, darunter eine Stahlrohrversion von „Locus Solus“ (1964) und einen extrem leichten, leicht zu verstauenden Klappstuhl, die „Aprilina“ (1964). Letzteren entwickelte sie 1970/71 zu einer stabileren, seitlich klappbaren Version mit passender Fußstütze weiter. Die Produkte, die sie zeitgleich für FontanaArte herstellte, zeigen ihren Umgang mit unterschiedlichen Materialien und ihre innovative Arbeitsweise. So kann der Kopf der Glasleuchte „Giova“ (1964) als Vase verwendet werden, und die skulpturale „Rimorchiatore“ (1967) aus lackiertem Metall ist ein Hybrid aus Lampe, Vase und Aschenbecher.
Neben Glas und Metall arbeitete Aulenti auch mit anderen Materialien. Ihr Tisch „Jumbo“ (1965) für Knoll wurde zum Beispiel aus Marmor gefertigt. Das massive Objekt zeugt von ihrer präzise konstruierten und architektonischen Formensprache, die schon in ihren frühen Entwürfen sichtbar war. Ihren Ruf als Innenarchitektin begründete Aulenti mit ihren Arbeiten für die Ausstellungsräume des Schreibmaschinenherstellers Olivetti in Paris (1966/67) und Buenos Aires (1968). In Paris setzte sie laminierten Kunststoff und Edelstahl ein, um die hohe Aktualität der ausgestellten Produkte zu unterstreichen. Sie verwendete auch ihre „Pipistrello“-Lampen (1965) – eines ihrer ikonischsten Objekte, das bis heute von Martinelli Luce hergestellt wird. In Buenos Aires nutzte sie verspiegelte Decken, um einen kaleidoskopischen Effekt zu erzielen, der durch ihre „King Sun“ (1967) Lampen verstärkt wurde, die wie viele ihrer Objekte speziell für diesen Showroom entworfen wurden. Die auf den ersten Blick unerwarteten überdimensionalen Dimensionen dieser Leuchte finden sich auch in anderen Entwürfen wieder, wie z. B. in ihren Leuchten „Ruspa“ und „Oracolo“ (beide 1968).
Ihre Metamorphose des Pariser Gare d’Orsay vom Bahnhof zum Museum zwischen 1980 und 1986 ist eines ihrer bekanntesten Architekturprojekte, das sie und ihr Architekturbüro international bekannt machte. Es folgten Aufträge zur Neugestaltung der Innenräume des MNAM – Centre Georges Pompidou in Paris (1982-85), zur Renovierung des Palazzo Grassi in Venedig (1985/86) und zum Umbau des Palau Nacional von Montjuïc in Barcelona zwischen 1985 und 1992, der zum Museu Nacional d’Art de Catalunya wurde. Für den Gare d’Orsay entwarf sie u. a. Gegenstände, die später für den Hausgebrauch übernommen wurden, wie z. B. Bilderrahmen mit dazugehörigen Stützen. Aulentis Ausstattung für den Palazzo Grassi geht auf ihre Bühnenbildentwürfe für Gioachino Rossinis Oper „Il viaggio a Reims“ (1984/85) zurück, die auf ihrer langjährigen Arbeit als Bühnen- und Kostümbildnerin basierten. Dank zusätzlicher Leihgaben aus dem Gae Aulenti Archiv in Mailand und anderen Leihgebern zeigt die Ausstellung „A Creative Universe“ auch eine Auswahl weniger bekannter Arbeiten der italienischen Designerin, wie etwa Verpackungsdesigns für Make-up-Produkte der französischen Firma Rochas aus dem Jahr 1978, Vasen für den Murano-Glashersteller Venini aus den Jahren 1995 bis 2008 sowie „Toaster“ (1996) und „Blender“ (1998) für den Elektronikhersteller Trabo. Diese Arbeiten offenbaren Aulentis immense Vielseitigkeit und ihr großes Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Gegebenheiten. Aulenti war weniger daran interessiert, einen homogenen Stil zu pflegen, als vielmehr visionäre Problemlösungen anzubieten. Dennoch teilen fast alle ihre Entwürfe eine markante Formensprache und emblematische Silhouetten. Ihre Objekte ziehen das Auge in ihren Bann und bleiben unvergesslich. Mit freundlicher Unterstützung von: Botschaft von Italien in Berlin, Martinelli Luce, und Bottega Ghianda